Liebes Archiv … Einträge vom Januar 2007

Etwas Salz auf meiner Haut.

   
Autobahnausfahrten sind teuer, auf der Autobahn nach Süden gibt es fast nur wilde Ausfahrten. Scharf abgebremst und auf dem Seitenstreifen zurückgesetzt, kann man dann eine schmale Unterführung nehmen, um nach links abzubiegen. Mo ist maulig, hat zu wenig geschlafen, er meckert und jammert. Okay, die Schotterpisten zum Salzsee sind ein harter Test für jedes Fahrzeug, aber er hat sich doch sonst nicht so!? Er heizt durch die Gegend, daß die Jungs hinter uns entweder Staub fressen oder Abstand halten müssen. So kommt es, daß wir Herrn Ali und seine Schützlinge verlieren. Wir besichtigen die Maranjab Karawanserei - leider ist sie nicht halb so spektakulär wie die letzte - und begegnen einem Wohnmobil aus Österreich, das seine Insassen von Graz gemütlich in einem Monat auf dem Landweg hierher gebracht hat. Am See, wo die trockene, aufgeschüttete Piste endet, bockt Mo wie ein wildes Pferd und will einfach nur zurück. Als wir die anderen wiedertreffen, haben sie von ihrem Ausflug auf den Salzsee zu erzählen, wo die Lastwagen beladen werden und feine Bilder geschossen, wir könnten Mo an die Gurgel springen, aber was soll's! Wie sich auf dem rasanten Rückweg herausstellt, muß er des Abends noch nach Teheran und wir vertrösten uns auf ein nächstes Mal, dann mit Geländewagen. Inshallah.

[] Darya-chi Namak / Freitach, 26. Januar 2007


Tierquälerei.

Falsches Futter, Furz liegt quer,
Eisenschweinchen quält sich sehr,
rumpelt, daß die Schwarte kracht,
quiekend einen Bocksprung macht.
Noch ein Röcheln, dann ist Stille,
schreckgeweitet die Pupille.

Leblos liegt es in dem Koben,
hat es doch zuviel gehoben.
Opfertier umsonst gemeuchelt?
Skepsis war auch nicht geheuchelt.
Ist das Vieh jetzt noch zu retten?
Müssen wir's zu Grabe betten?

Obduktion ist nicht vonnöten,
solch ein Furz wird es nicht töten,
sagt die Schweinezüchterei
und sie denkt sich was dabei.
Jedenfalls steht das zu hoffen,
dennoch ist das Ende offen.

Nächster Tag, ein neues Glück,
in den Stall geht es zurück.
Frisch erholt als wenn nichts war
steht das Eisenschweinchen da.
Futtermischung neu gerührt,
hoffen wir daß nichts passiert!

Parand, 25. Januar 2007 []

Durch die Salzwüste.

   
Endlich wieder auf Achse! Durch die Salzwüste, Kavir genannt, treiben wir die Fahrer auf Schotterpisten, die irgendwann mal mehrspurige Autobahnen sein werden. Unser Ziel: der Salzsee Namak. Wir treffen auf die zottigen Gesellen, die den gefrorenen Pfützen ihr Wasser abtrotzen und müssen irgendwann umkehren, weil Weiterkommen nur noch mit Geländewagen möglich ist. Wir versuchen dann, den See gegen Uhrzeigerrichtung anzufahren und machen Station an der alten Karawanserei Dair-I-Gatschin, die - man sehe und staune - gerade restauriert wird: Das Hammam ist am weitesten fortschritten. Die Karawanserei ist wie eine Festung und quadratisch mit dem Eingang gen Mekka ausgerichtet. Vom Hof zugänglich die einzelnen Zimmer mit Feuerstelle und Kuppeldach plus Abzug, von oben gut zu sehen. Hinter den Zimmern ein breiter Gang mit Nischen. Mauern dick wie im Atombunker. Ich trage uns ins Gästebuch ein, mache den dritten Nicht-Farsi-Eintrag und zweiten deutschen! Die anderen waren Expeditionen von Universitäten aus Schottland und Bamberg, Arschologen oder so, hab ich vergessen. Ts.

Nach Konsultation zweier auskunftsfreudiger Herren, die wir aber nicht verstehen, wissen unsere Fahrer bescheid, in dieser Richtung kommen wir auch nicht weiter, sondern müssen umkehren. Unglücklich, daß wir uns unsere Kenntnisse immer selbst zusammenreimen und -lesen müssen, da mit unseren Fahrern keine richtige Kommunikation möglich ist.
Wir geben unser Vorhaben auf, sind aber von den Erlebnissen garnicht unbefriedigt, beim nächsten Mal: Salz auf unserer Haut! Sicher.

[] Kavir, die Salzwüste / Freitach, 19. Januar 2007

Böses Erwachen.

as Klonk - Bumm - Zoink erwischte mich genau in meiner Seichtschlafphase, ich stand im Bett, und nicht nur im übertragenen Sinne, aber nicht lange, denn es gab unter lautem Krachen nach. Meine Pumpe schlug mir bis zum Hals und wollte sich garnicht beruhigen. Es war halb sechs. Ich stürzte zum Fenster, nachdem ich mich mühevoll aus der Umklammerung des Bettes befreit hatte und konnte gerade noch einen vierbeinigen Schatten im Dunkel des Gartens verschwinden sehen. Eine Katze, die mein Fensterbrett als Treppe von der Gartenmauer zur Terrasse mißbraucht hatte?
Naja, an Schlaf war jedenfalls nicht mehr zu denken. Ich schlurfte zum Klo und ergoß mich ins Porzellan. Jetzt erst bemerkte ich die schwarz glänzende Spur, die ich vom Schlafzimmer bis hierher gelegt hatte, meine zerfurchten Beine bluteten schrecklich. Doch das ließ mich merkwürdig gleichgültig, ich wollte die verbleibende Stunde bis zum Aufstehen nicht damit verschwenden, mir die Stelzen zu bandagieren, also ignorierte ich die Sauerei und legte mich wieder hin. Durch das Loch im Bett zog es unangenehm, aber das war meine kleinste Sorge. Es war fünf nach halb sechs und mein Herzilein hämmerte immernoch als wollte es mir aus dem Brustkorb springen.
Ich warf mich von einer Seite auf die andere, hier die Scheißlaterne, die wie immer direkt ins Fenster strahlte, dort der Wecker, ohrenbetäubend tickend. Nach einer gefühlten Stunde schaute ich auf den Wecker - eine schlappe Minute war vergangen!
Nun versuchte ich es mit Schäfchenzählen. Ich hatte also recht gewissenhaft zwei oder drei Tiere gezählt, als ein leises Schlürfen an mein Ohr drang, das sich langsam näherte. Dann hörte es abrupt auf und ich konzentrierte mich wieder auf die Wolltiere.
Mein Bein juckte. Träge wanderte meine Hand abwärts und traf auf etwas Wuscheliges -? Die Hand tastete sich weiter, ein Auge, eine Nase… es dauerte eine Zeit, bis ich erschrak und die Augen aufriß. Im Halbdunkel starrten mich ebenso überraschte Augen an, daneben die zarte blasse Hand mit dem Strohhalm zuckte von meinem entblößten Bein zurück.
Als sich der erste Schreck beiderseits gelegt hatte, entblößte sie ihre schönen weißen Eckzähne zu einem bezaubernden Lächeln der Entschuldigung und fing gleich darauf an, mich mit einem Schwall unverständlicher Worte zu überschütten, doch deren Klang kam mir bekannt vor, war das nicht das Kauderwelsch das unsere rumänischen Kollegen sprachen?
Wenn dieses nette Geschöpf tatsächlich so einen weiten Weg gemacht hatte um meine verkrusteten Beine auszulutschen - wie konnte ich sie hinausjagen in die kalte Nacht?
So bot ich ihr das zweite, noch unbeleckte Bein an, worauf sie schamhaft errötete und entgeistert ihren Strohhalm fallenließ. Ich schaute ihr amüsiert zu, wie sie das Schlürfgerät ungeschickt aufhob, als BÄNG! die Scheibe barst, es Scherben regnete und das Fenstergitter an die Wand schepperte. Im Zimmer stand - IHR KERL! Der transsylvanische Hüne überschaute die Situation und sprang mir an die Kehle - ARRGH!
   

Schweißgebadet schreckte ich hoch und wieder raste mein Herz - fünf nach halb sechs? Meine Zunge fühlte sich an wie Sandpapier grober Körnung, mich dürstete. Auf dem Weg ins Wohnzimmer dachte ich noch, welch kranke Phantasie Leute so haben, beugte mich zum Couchtisch, wo die Wasserflasche stand, hob sie auf und trank in kleinen vorsichtigen Schlucken. Irgendwas war komisch.
Ich blickte zur Seite, wer saß da auf dem Sofa? Der Hausmeister! Zusammengesunken, wie auf einen kräftigen Schlag wartend, schaute er mich ausdruckslos an. So schnell konnte mich nichts mehr schocken, mein Verstand war plötzlich klar wie Kloßbrühe und mir fielen gleich die vielen Fragen ein, die nur er beantworten konnte. Zum Beispiel, wer neuerdings das Laken zusammenfaltete und auf das Kopfkissen legte, was mich jeden Abend fluchen ließ. Warum es im Hausflur immernoch nach Gas stank. Warum der Wasserhahn im Garten seit Tagen munter lief, statt im Haus irgendwo das Wasser abzusperren um Frostschäden zu vermeiden. Warum meine Heizung immernoch so munter tropfte. Wer den Abwasch so nett in der Spüle türmt. Warum der Staubsauger hinter der Wohnungstür verstaubt und was im Lastenheft der Putze steht. Das Übliche eben. Ich konnte schon das rauchige Quietschen seiner Stimme hören, das ok ok, tomorrow, während er sich, wie vor Schmerzen weiter zusammenkrümmte um die peitschenden Fragen zu empfangen, die bald auf ihn einprasseln mußten.
Gerade als ich zur ersten Frage ansetzte, polterte jemand durch die Wohnungstür, die der Hausmeister sinnigerweise offen gelassen hatte. Über und über mit kleinen Scherben bedeckt stand mein Fahrer im Raume, gestenreich über den Verlust seiner Heckscheibe zeternd und auf alle Iraner schimpfend die den Straßenverkehr zu einer Farce machten. Klick-klick-klick machten die kleinen Sicherheitsglasscherben, wenn sie auf den Fliesenboden rieselten. Ich war nicht sonderlich beeindruckt, doch der Hausmeister ließ ein Geräusch hören, als hätte er einen Tritt in die Magengrube bekommen. Stöhnend federte er hoch und ergriff mit wackeligen Beinen die Flucht.
Der Fahrer beruhigte sich schnell und ich verabschiedete ihn umständlich, wollte schließlich die verbleibende Stunde nicht mit anstrengender Konversation verbringen. Ich setzte mich kurz auf das Sofa und blinzelte mit schwer werdenden Lidern.

Fortsetzung folgt? Inshallah!

[] Parand / Freitach, 19. Januar 2007

Beten und Kaufen.

   
Seit ein paar Wochen hat unsere Moschee ihre Kuppel, keine Schönheit allerdings und wenig majestätisch. An drei Seiten wird das Gotteshaus von Ladenzeilen umschlossen, wie wir sie an allen Ecken Parands finden. Die wenigsten sind schon besiedelt und bei der überwältigenden Anzahl der Krämerläden, die in der Stadt entstehen, frage ich mich unentwegt, auf welcher Schiene die Stadtväter reisen. Die Dinger haben kein Lager und sind kaum größer als ein Handtuch. Wieviele Kleinkrämer braucht unser aufstrebendes Parand? Wo ist die Kaufhalle?

[] Parand / Mittwoch, 17. Januar 2007

Auswärts essen.

   
Nein, ich fange nicht an zu menscheln, Allah bewahre!
Ich hatte gerade aus einiger Entfernung mein Foto von der Brücke geschossen, an der die Jungs arbeiteten, kurz gegrüßt und mich zum Gehen gewandt, als der Vorarbeiter mich zurückrief. Er bat mich heran und lud mich auf einen Tee. Ich war auf dem Weg zum Fluß schon drei Stunden ohne Wasser durch die Steppe gelaufen, bevor ich die Bahnlinie und ihre Viadukte sah, so siegte der Durst über die Zurückhaltung.
Nungerade um halb drei fiel der Hammer, daher kamen bald alle fünf Arbeiter in den kleinen Blechcontainer, zogen die Socken aus und setzen sich, um den Fremden anzuschauen. Einer machte aus zwei Fingerhut Tee eine riesige Kanne des Getränks und goß allen ein.
Der Vorarbeiter brüllte mich an, aber mit meinen kargen Brocken Farsi ist kein philosophisches Gespräch zu führen, seine Kenntnisse uns gemeinsamer Sprachen beschränkten sich auf ein verwaschenes Tenkyouverymatsch und Давай-Ќак дела-Хорошо.
Aus Afghanistan seien sie, zögen weiter zur nächsten Brücke Richtung Qom und Esfahan, wenn sie hier fertig seien, Iran sei ganz gut, keine Bomben wie in Afghanistan, Pakistan und wo er noch so war.
Mein Handy hatte er dummerweise schon gesehen, so bat der Vorarbeiter mich, mal nach Teheran telefonieren zu dürfen. Später. Wir tranken Tee, die Unterhaltung lief stockend, ich zog die Kamera und machte ein Foto, zeigte es den staunenden Jungs. Nachdem er mir den Preis aus der Nase gezogen hatte, zog die Kamera den Blick des Vorarbeiters immer wieder magisch an. Welche Begehrlichkeiten so ein dahergelaufener Deutscher weckt! Natürlich wollten sie auch dahin, wo einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen!
Nun kam der Gaskocher wieder zum Einsatz, im großen Blechtopf wurde mit ein paar Zwiebeln und irgendeinem Milchprodukt eine Suppe gezaubert, die Plastikfolie ausgebreitet und reichlich Brot in kleine Brocken gezupft. Die Näpfe wurden verteilt, der Herr Gast zuerst, und das Brot in die Suppe versenkt. Die anderen drückten es solange, bis daraus ein Brei wurde, den sie mit den Fingern aßen, ich begnügte mich damit, die getränkten Brocken zu löffeln, während der Vorabeiter mich ständig von der Seite musterte, ich tat als merkte ich nichts. Was geht in den Köpfen dieser gastfreundlichen Billigarbeiter vor?
Nach dem Essen mußte ich gehen, sein Telefongespräch hatte der Mann aber nicht vergessen. So stiegen wir den Bahndamm hinauf, von wo man den besten Empfang hatte, die anderen hinterher, doch in Teheran ging niemand ans Telefon.
So bedankte ich mich nochmals und machte mich auf dem Gleisbett an den Rückweg, über ihre Brücke, winkte noch einmal und dann verschwanden die Jungs in ihrem Container.

[] Steppe Parand / Freitach, 12. Januar 2007

Freie Fahrt.

   
   
Die Autofans unter meinen Kollegen sind betrübt über das wenig abwechslungsreiche Straßenbild, das hauptsächlich vom Paykan und dem iranischen Peugeot der Vierer-Serie dominiert wird. Doch wenn man genau hinsieht, gibt es so einige Farbtupfen in der Eintönigkeit. Zum einen sind da die in mehr oder weniger gutem Zustand befindlichen fahrbaren Untersätze aus der Zeit vor der iranischen Revolution, zum anderen die bei ehrlichem Broterwerb sicher unerschwinglichen Luxuskarossen der Neuzeit - die besten natürlich aus Deutschland. Beliebt auch sind imitierte deutsche Nummernschilder, die unter die echten montiert werden.

[] Parand/Teheran / Mittwoch, 10. Januar 2007

Vollmond.

eim Joggen kommen einem die besten Ideen, so heißt es.
Ganz allein ziehe ich meine Bahn auf den opulent beleuchteten, doch leeren Straßen, nur der Mond begafft mich, hell und rund. Meine Kollegen schützen mehr oder weniger schlüssige Unpäßlichkeiten vor, chronisches Faulfieber, schlechter Stuhl oder hereditäre Schnappatmung sind die gängigsten. Was soll's.
Es ist kalt und meine Nase läuft. Ich habe meine Mützenallergie überwunden und ducke mich in den Jackenkragen. Immer einen Fuß vor den anderen und im Takt atmen. Mitten in der Meditation gleichmäßiger Bewegungen merke ich garnicht, wie ein Eiszapfen aus meinem Rotz wächst und wächst. Eben hechele ich noch ins fahle Mondlicht, ganz in genialen Gedanken, als es passiert: Zong! Schmerzhaft bohrt sich der lange, kalte Stachel plötzlich in meinen Oberschenkel. Heißkalt durchzuckt mich der Schmerz, daß ich aufschreie und mich in Qualen auf der vielspurigen Ausfallstraße winde. Zwischen den Zähnen zische ich Flüche der bösesten Sorte, während ich mir mit spitzen Fingern den kalten Spieß zu entfernen versuche, doch ohne Erfolg. Ich nähere mich der Raserei.
Von einem Moment auf den anderen bin ich nicht mehr ich und die folgenden Begebenheiten habe ich mir aus Berichten anderer Beteiligter zusammengereimt. Jäh muß mich der Mond in seinen Bann gezogen haben, hab zuviele schlechte Filme gesehen, beliebte Ausrede aller, die heutzutage irgendwie ausflippen, ich breche aus meinen verschwitzten Klamotten, Nähte platzen, die Kleidungsfetzen spritzen nur so umher, ein schauderhaftes Brüllen entfährt meiner Kehle, ich werde zum Tier.
Es ist kalt, verdammt kalt und der eisige Dorn in meinem Fleisch macht mich wahnsinnig. Ein schauriges Geheul entwindet sich meiner rauhen Kehle, ich kniee auf der Straße und jaule ihn an, den weiß blendenden Erdtrabanten. Niemand antwortet, nur die streunenden Hunde in den Bergen kläffen ängstlich zurück.
Brooooom! Da! Zwei Scheinwerfer halten genau auf mich zu, irrer Raser! Verärgert richte ich mich auf, Reifen quietschen, die Lichter zittern und kommen immer näher, kurz vor dem Aufprall wische ich den Paykan mit einem Prankenschlag von der Straße, es scheppert ohrenbetäubend, der Motor heult noch einmal auf und erstirbt. Erschreckt klettert der Fahrer aus dem zischenden, rauchenden Blechhaufen und stolpert fluchend davon.
Nun plagt mich der Durst, ich stapfe in die Stadt zu Tante Emmas Laden, die Leute auf der Straße laufen erschreckt auseinander, als sie mich sehen, grunzend stehe ich vor dem Gitter und rüttle, geschlossen! Ich brülle fürchterlich und reiße das Gitter heraus, zerschlage die Glastür und stürze in den Laden, er ist leer. Das Haus wird ein Schutthaufen.
Ich stehe im Staub und meine Wut verraucht. Ich atme schwer. Da fällt mir ein, Tante Emma ist umgezogen! Ich schüttele mich und laufe knurrend den Berg hinauf, die Häuser erzittern unter meinem Schritt.
Tante Emma steht schon vor der Tür, alarmiert von dem Erdbeben, natürlich erkennt sie mich nicht und baut sich vor mir auf, als ich an ihr vorbei in den Laden galoppieren will, ich pralle ab und schlage unsanft gegen die Hausmauer. Sie zückt den Wischmop und haut ihn mir fluchend um die Ohren, ihr hutzeliges Männchen steht daneben und hält wimmernd die Hände über den Kopf, er kennt ihren Zorn.
Tata-tatü! Endlich ist die Polizei da! Mit quietschenden Reifen hält der weißblaue Paykan neben uns, die Rundumleuchten ärgern mich. Die Tür geht auf, doch ehe der arme Gesetzeshüter aussteigen kann, hämmere ich die Tür wieder zu und rüttle das kleine Auto bis der Uniformträger mir vor die Füße kotzt. Mein Brüllen zerstört die Fensterscheiben in weitem Umkreis. Tante Emma schreit wie angestochen.
Die Stadt ist mir einfach zu laut, ich flüchte mich in die Berge, die Stille, laufe und laufe und laufe. Weit draußen jaule ich was das Zeug hält.
Ich erwache, weil ein halbes Dutzend Zungen an mir herumleckt, ein ungewohntes Gefühl. Als ich hochschrecke, machen die Hunde einen Satz und fiepen wie kleine Welpen. Die Sonne will gerade über den Horizont klettern, mich fröstelt. Ich kratze den Rauhreif von meinen steifgewordenen Gliedern und reibe mir die Augen. Wo bin ich, was mache ich hier?! Sowas ist mir noch nie passiert! Verwirrt mache ich mich auf den Weg dorthin wo ich Parand vermute, die verlausten Hunde folgen mir eine Weile in gebührendem Abstand und bleiben irgendwann zurück. Mein Oberschenkel schmerzt, keine Ahnung warum.
Gerade noch kann ich eine heiße Dusche nehmen und verwundert den Schlamm von meinem Körper kratzen, als der Fahrer auch schon ungeduldig hupt. Völlig zerschlagen lasse ich mich in den Sitz fallen. Beim Jogging muß ich wohl mal etwas kürzertreten.
Warum ist das Viertel denn so verwüstet? Ach, die spinnen, die Iraner.

[] Parand / Sonntach, 07. Januar 2007

In den Hinterhöfen der Seidenstraße.

   
Ein grauer Tag in Qazvin, einhundertfünfzig Kilometer westlich von Teheran. Die von landestypischer Ignoranz gegenüber der Geschichte und postmoderner Einfallslosigkeit geprägten Straßen als auch der schon von anderen Städten bekannte Eindruck des allgemeinen Verfalls dieser einstigen persischen Hauptstadt nimmt uns die Lust am Entdecken. Zur Überraschung ist ein Teil des Basars trotz des Freitags überaus belebt und wir begeben uns ins Getümmel. Bei näherem Hinsehen ist es eher ein Trödelmarkt, wie man ihn von zuhause kennt, Verkäufer von Schund und Gebrauchtwaren haben ihren Kram vor den meist geschlossenen Läden der Nuß- und Fruchthändler ausgebreitet. Die anderen Gassen haben gänzlich Ruhetag. Und hier am Rande des Basars liegen auch, hinter mächtigen Toren verborgen, die alten, riesigen Karawansereien in teilweise bedauernswertem Zustand. Die des Haji Reza ist zur Müllverwertung verkommen, während eine andere durchaus noch althergebrachtem Zwecke dient. Ihre domartigen Hallendächer ragen aus dem Gassengewirr verrotteter Häuser.
Wir werfen noch einen Blick in die Nabi-Moschee und in eines der unterirdischen Hammams, haben aber irgendwie schon die Schnauze voll von dieser deprimierenden Stadt - ist das Wetter schuld? Die Reisebibel zählt noch ein paar interessant klingende Sehenswürdigkeiten auf, aber wir haben das Gefühl, schon alles gesehen zu haben.
Für einen Besuch der sagenumwobenen Assassinenfestungen ist es nach dem üppigen Mittagessen aber zu spät. Wir machen uns auf den Rückweg.

[] Qazvin / Freitach, 05. Januar 2007

Morgens, halb acht im Iran.

   
Die Sonne steht noch tief und rot ist ihr verschlafenes Auge. Wir biegen auf die Landstraße ein und unser Schatten ist noch etwas schüchtern, er begleitet uns mit beträchtlichem Abstand in der flachen Ebene, ganz klein ist er, doch er weicht uns nicht von der Seite.
So geht es eine Weile, aber als sich plötzlich ein Hügel neben der Fahrbahn auftürmt, hat sich der Rüpel lautlos angeschlichen und schwebt unvermittelt dicht neben uns, doch nur kurz, schon ist die rastlose Gestalt wieder in die Steppe entflohen. Wir winden uns etwas höher und der amorphe Geselle hat sich wieder verwandelt, tanzt nun schräg vor uns, hoch wie der Turm zu Babel auf langen Stelzen mit schmalen Fenstern unterm runden Dach. Aber schon zerfließt er wieder zu einem Trickfilmschatten, oben schmal und unten breit, verschwindet immer wieder in der Steppe, verspielt wie er ist, kommt wieder, doch mich erschreckt er jetzt nicht mehr.
Und dann biegen wir ab auf die Buckelpiste, die Sonne sticht mir ihre Strahlen direkt ins Auge, das flatterhafte Unlicht versteckt sich jetzt hinter uns, an die Stoßstange gekrallt läßt er sich hinterherziehen, schleift im Staub und bremst unseren Vortrieb. Unsichtbar ist der dunkle Begleiter und schon bald vergessen für uns, die wir nur nach vorn schauen, bis morgen früh, wenn er wieder seinen Schabernack mit uns treibt.

[] Parand / Donnastach, 04. Januar 2007

Neujahrsabfahrt.

   
Kurz, ganz kurz nur denke ich an die Kollegen, die den Tag in der Bude vergammelt haben und deren Bedauern über verpaßte Abenteuer sich womöglich schon in Resignation und Trägheit aufgelöst hat, als ich mir die übelriechenden Socken von den Füßen ziehe, die den typischen Geruch von muffigen Leih-Schischuhen angenommen haben.
Heute vormittag hatte sich die Gondel tapfer durch die Wolken gekämpft und oben war der Himmel blau, so blau. Nach der Neujahrsnacht oben ohne waren wir recht fit und Sonne und Schnee ließen den Endorphinspiegel steigen. Auch wenn ich mich auf der - einzigen offenen - Piste viel sicherer gefühlt habe, wurde es mit der Zeit langweilig und der Lift nach oben hielt jeweils mindestens dreimal auf der Strecke, was uns ordentlich auskühlte, wenn die Sonne gerade hinter den Wolken spielte, die sich auch auf die Piste verirrten, da oben auf dreitausendsiebenhundert Metern. So waren wir zwar erstaunt aber nicht allzu traurig, daß der Liftbetrieb bereits um vierzehn Uhr eingestellt wurde.
Das gab uns die Gelegenheit, uns durch den Stadtverkehr zu wuseln und mal einen Kaffee und einen iranischen Apfelstrudel zu uns zu nehmen, um danach endlich eine Schihose zu kaufen - Schluß mit der fadenscheinigen Kordhose auf der Piste!
Man mache sich klar, daß hier gestern Feiertag war, während wir heute das neue Jahr begehen, das is schon was mit den ganzen Religionen! Frohes Neues übrigens, das hatte ich völlig verdrängt!

[] Tochal / Montach, 01. Januar 2007

Silvester oben ohne.

Irgendwie verstört sitze ich mit den Kollegen herum, nachdem wir uns meine vorzügliche Tomatensoße mit Nudeln einverleibt haben. Paralleluniversum Parand, hier gibt es kein Weihnachten oder Neujahr - werden wir je wieder in unser Universum zurückgelangen? So schnell jedenfalls nicht. Unentschlossen lassen wir die halben Stunden verstreichen, sehen lustlos in die Ferne und überlegen, wann wir das neue Jahr begrüßen sollen. Halb elf, für Pakistan oder so?
Der Abend zieht sich, bis wir Ali G. gefunden haben, der uns etwas erheitert. Und dann wird es endlich zwölf, ich stoße mit den Jungs an, noch immer zweifelnd, denn nichts außer dem leisen Klirren der Gläser bezeugt den Jahreswechsel, nicht mal nach Besaufen ist mir zumute. So gehe ich recht früh nach Hause, draußen Stille, kein Mensch auf der Straße, kein Böller, kein Brot, nichts. Parand schläft längst, morgen ist Arbeitstag.

[] Parand / Montach, 01. Januar 2007

...und hier geht's weiter in die Vergangenheit.